Verspieltes Vertrauen zurückgewinnen

Wie eine Glücksspielerin fast ihr Leben ruinierte – und dann den Ausstieg schaffte

„Um Spannung abzubauen“, fing Kathrin Basler (Name von der Redaktion geändert) vor rund zehn Jahren an, Online-Lotto zu spielen. Was für Außenstehende harmlos klingt, wuchs sich bei ihr bald zu einer alles bestimmenden Spielsucht aus: „Ich habe bei vielen internationalen Lotterien mitgemacht, in der schlimmsten Phase mehrmals am Tag, und immer mit dem höchstmöglichen Einsatz.“ Anfangs spürte sie dadurch eine Entlastung von dem Druck, dem sie bei ihrer Arbeit als Leitungskraft in der Pflege ausgesetzt war. Besonders die Zeit zwischen dem Spieleinsatz und der Ziehung der Gewinnzahlen – mehrere Stunden oder Tage – war dabei wichtig: „Das war ein Spannungsbogen, den es bei anderen Glücksspielen nicht gibt. Die Hoffnung, dass ich gewinne, hielt ja bis zur Auslosung an.“ Was hätte sie denn mit dem gewonnenen Geld angefangen? „Ich wollte mir einfach mal was leisten können. Später hatte ich dann die Hoffnung, dass ich mit dem Gewinn meine Schulden zurückzahlen könnte – obwohl mir im Kopf schon klar war, dass das nicht funktioniert.“

Bei der Arbeit fiel niemandem etwas auf, denn sie spielte immer nur zuhause. „Ich hätte mir auch nicht vorstellen können, in einer Spielhalle zu gehen. Da war die Gefahr zu groß, dass mich jemand sieht.“ Ihr Lebensgefährte habe gemerkt, dass sie angespannt war, doch von der Sucht lange nichts bemerkt. „Wir lebten zwar zusammen, aber wir hatten beide Schichtdienst, sodass ich zeitweise allein zuhause war und unbemerkt spielen konnte.“ Es gelang Kathrin Basler auch problemlos, an das Geld für ihre Spielsucht zu kommen: „Als mein Einkommen nicht mehr reichte, habe ich Kredite aufgenommen. Es war erschreckend, wie einfach ich die bei der Bank bekommen konnte.“ Sie verlor den Bezug zum Geld und „wusste sie nicht mehr, wieviel 10 oder 100 Euro sind“. Auf eine kurze spielfreie Phase folgte ein heftiger Rückfall mit neuen Schulden.

Irgendwann ließen sich die gravierenden Folgen des exzessiven Spielens nicht mehr verbergen – wenn auch viel zu spät: Am Ende stand die Lottospielerin mit rund 30.000 Euro in der Kreide und der Gerichtsvollzieher klopfte an die Tür. „Es ging um meine Existenz.“ Schließlich wandte sie sich an die Schuldnerberatung, legte alles offen und meldete Privatinsolvenz an.
Mindestens ebenso schwerwiegend waren die Folgen für ihr soziales Umfeld: „Ich habe meinen Lebensgefährten, meine Mutter und meine Geschwister jahrelang angelogen. Von meinen Freunden habe ich mich zurückgezogen. Es gab für mich nur noch Arbeit und Spielen.“ Ihre langjährige Partnerschaft drohte zu scheitern: „Damals stand die Frage im Raum, ob wir uns trennen. Das Schwierigste war der Vertrauensbruch.“ Dieses buchstäblich „verspielte“ Vertrauen zurückzugewinnen, brauchte viele Zeit.

Es gelang ihr, mehrere Monate lang spielfrei zu bleiben. Ihre Leitungsstelle gab sie auf, das brachte ihr etwas Entlastung. Therapeutische Hilfe suchte sie sich anfangs nicht – aus Scham. „Ich bin an sich ein sehr strukturierter Mensch und es fiel mir schwer zuzugeben, dass ich die Kontrolle über mein Leben verloren habe. Es braucht Zeit sich einzugestehen, dass man süchtig ist und es nicht allein hinbekommt.“ Doch dann erkannte sie, dass sie es aus eigener Kraft nicht schaffen würde, auf Dauer von der Sucht loszukommen und „alles wieder ins Lot zu bringen“. Sie wollte ihr Leben endlich wieder in die eigene Hand nehmen.

Im Juli 2019 begann sie dann eine wöchentliche Gesprächstherapie bei Willi Vötter, dem Leiter der Suchtberatungsstelle Regio-PSB, und eine Gruppentherapie bei anderem Träger. Zur Therapie gehörte, zu erkennen und darüber zu sprechen, welche Ursachen zur Spielsucht geführt hatten. Neben dem Druck bei der Arbeit steckten wohl auch familiäre Prägungen – sie kommt aus einfachen Verhältnissen, ihr Vater, zu dem sie lange keinen Kontakt hatte, war ebenfalls spielsüchtig – dahinter. Und: „Ich konnte meine Gefühle nicht äußern.“

Inzwischen ist die 40-Jährige seit zwei Jahren spielfrei. „Das ist eine große Entlastung für mich. Trotz meiner Privatinsolvenz habe ich Geld zur Verfügung, da ich nichts mehr verspiele. Und vor allem muss ich nichts mehr verbergen.“ Zum Abbau von Stress hat sie nun andere Wege gefunden: „Ich habe Hobbies wiederaufleben lassen, die mir früher Spaß gemacht haben: ich gehe mit meinem Hund spazieren und fahre mit dem Rad. Puzzle mache ich auch sehr gerne.“ Ihre Partnerschaft hat die schwere Krise überstanden – mittlerweile sind Kathrin Basler und ihr Lebensgefährte verheiratet.
In Versuchung, rückfällig zu werden, ist Kathrin Basler nicht: „Der Spieldruck ist weg.“ Ihre Therapien laufen Ende Oktober aus, doch sie ist bei der neuen Selbsthilfegruppe für Glücksspielsüchtige dabei, die sich in der Regio-PSB trifft. „Das ist eine stetige Unterstützung, und ich kann mich mit Gleichgesinnten austauschen.“

Ihre Ziele für die nächsten Jahre sind klar: „Ich will spielfrei bleiben und meine Schulden abbauen.“ Zudem hat sie den Vorsatz gefasst, gegenüber ihrem Umfeld nichts mehr zu verheimlichen. Ihr großer Traum: „Wenn die Schulden abbezahlt sind, möchte ich zusammen mit meinem Mann eine längere Auszeit nehmen und mit dem Wohnmobil auf Reisen gehen.“